Sunday, June 23, 2013

Der türkische Europaminister: Erdogans Kettenhund

 
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Der türkische Europaminister Egemin Bagis gab sich lange fortschrittlich. Jetzt fällt die Maske. Kein Regierungspolitiker wählte schärfere Töne in der Krise. ...
 
Irgendwann kommt fast immer der Witz mit den Katholiken. Wenn Egemen Bagis, Europaminister der Türkei und Chefunterhändler seines Landes für die EU-Beitrittsverhandlungen, ein Interview gibt oder eine Rede hält, sagt er meist: „Europäische Politiker fordern, dass unsere Beitrittsverhandlungen ergebnisoffen sein müssen. Das zu akzeptieren war nicht leicht für uns. Aber heutzutage sind ja sogar katholische Ehen ergebnisoffen.“

Kein Spitzenwitz, doch für ein paar Lacher bei einer Konferenz-Eröffnung oder einer Pressekonferenz reicht es allemal. Danach wird Bagis ernst. Die Türkei von heute, so erklärt er den Witz, sei nicht mehr die Türkei von vor 50 Jahren, genauso wie die EU unserer Tage anders sei als die Europäische Gemeinschaft der Anfangszeit. So werde eines Tages auch eine andere Türkei einer anderen EU beitreten. Kein Grund also, sich zu fürchten.
Egemen Bagis ist ein routinierter Redner. Man merkt ihm an, dass er mehr als fünfzehn Jahre in den Vereinigten Staaten gelebt hat. Nicht nur, weil sein Englisch hervorragend ist, sondern auch, weil er sich von den Amerikanern die Kunst der Rede abgeschaut hat. Bagis spricht unterhaltsam und klar. Er weiß, dass ein nonchalant eingestreutes Bonmot fast jedes Publikum von der mangelnden Substanz des Gesagten ablenken kann. Typische Bagis-Sätze klingen weltoffen und liberal, zum Beispiel so: „Ich glaube, dass alle zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Türkei ein natürlicher Teil des türkischen Beitrittsprozesses sind - jede kann zu den Verhandlungen beitragen, jede als Botschafter auftreten.“ Toller Mann, dieser Bagis, sagen die Zuhörer dann. So modern, so witzig, so gelassen.
In den vergangenen Wochen konnte man allerdings einen anderen Bagis erleben. Nicht modern, witzig und gelassen, sondern aggressiv, nationalistisch und rückwärtsgewandt. Auf die größte Bewährungsprobe, die der türkischen Regierungspartei AKP bisher auferlegt wurde, reagierte Ankaras Europaminister mit rhetorischem Trommelfeuer gegen alles, was nicht bei drei den Mund hielt. Kein türkischer Regierungspolitiker wählte schärfere Töne in dieser Krise, und das will einiges heißen, denn die AKP ist ein großer Alphatiergarten, in dem vom Vorsitzenden Tayyip Erdogan an abwärts eine Rhetorik des offenen Hemdkragens gepflegt wird.

„Sind die stärkste Regierung in Europa“
Als die türkische Opposition Demonstranten gegen friedliche Wasserwerfer einsetzte und ohne Vorwarnung brutale Ironie auf Polizisten niedergehen ließ, wurde der joviale Plauderer Bagis zu Erdogans Kettenhund. Nachdem das Europäische Parlament in einer zurückhaltend formulierten Resolution ein Ende der Polizeigewalt gefordert hatte, bellte Bagis zurück, die Abgeordneten sollten besser ihre „absurden Äußerungen“ einstellen. Max Horkheimer zitierend, attestierte der belesene Politiker den europäischen Parlamentariern eine „Vernunftfinsternis“, die sich in „unverhältnismäßigen, unausgewogenen und unlogischen Aussagen“ äußere. Er warnte „gewisse Mitglieder“ des EU-Parlaments, dass es einen Preis habe, sein Land zu kritisieren. Die Türkei sei keine Bananenrepublik. Sondern sozusagen das Gegenteil davon: „Die Türkei hat die reformeifrigste und stärkste Regierung in Europa und den charismatischsten und stärksten Führer in der Welt. Sollte jemand ein Problem damit haben, dann tut mir das aufrichtig leid. Nur für jene, die sich überwältigt fühlen, ist die Führung von Ministerpräsident Erdogan ein Problem.“
Die Demonstranten im Gezi-Park fühlten sich durchaus überwältigt vom großen Istanbuler Prügelsommerfestival der türkischen Polizei, und sie sahen Erdogan daher anders als Bagis auch nicht als „Geschenk Allahs an die türkische Nation“. Nachdem Erdogan die Demonstranten als „Gesindel“ und „Pack“ verunglimpft hatte, beleidigte Bagis ihre Vernunft, indem er sie als Naivlinge beschrieb, die sich von bösen Mächten manipulieren ließen. Wie sein Ministerpräsident beschuldigte er „nationale und internationale Spieler“, eine „Zinslobby“ und „internationale Netzwerke“, hinter den Protesten zu stecken. Dass die von ihm zuvor noch so gelobte Bürgergesellschaft eine genuin türkische Protestbewegung hervorgebracht haben könnte, zog Bagis zumindest öffentlich nicht in Erwägung. Stattdessen folgte er seinem Ministerpräsidenten aufs Wort. Denn Bagis ist nichts ohne seinen Entdecker Erdogan, und das weiß er.
Für die Europäer hielt Bagis dieser Tage Warnungen bereit. Sollte seinem Land die Eröffnung eines neuen Kapitels der Beitrittsverhandlungen verweigert werden, sei das eine Bedrohung für die EU, sagte Bagis. Seit langem ist der Satz „Die Türkei braucht die EU nicht, die EU braucht die Türkei“ Bestandteil seines Repertoires. Für die wahltaktisch gesteigerte Türkeiskepsis der Bundeskanzlerin hatte Bagis ebenfalls einen Ratschlag übrig: „Wenn Frau Merkel für ihre eigenen Wahlen innenpolitisches Material sucht, dann sollte dieses Material nicht die Türkei sein. Früher hat (der abgewählte französische Präsident) Sarkozy dieses Material benutzt, und Frau Merkel hat sicher aus der Nähe verfolgt, was mit ihm geschah. Wenn sie sich das nochmals vor Augen führt, sieht sie selbst, dass jene, die sich mit der Türkei anlegen, kein gutes Ende nehmen.“

Eigentlich sollte Merkel Bagis dankbar sein
Allerdings ist Bagis kein Unmensch, und so hatte er einen „freundschaftlichen Vorschlag“ für Frau Merkel: Sie solle nicht nur an die 4000 deutschen Firmen denken, die in der Türkei Geschäfte machen, sondern auch an seine in Deutschland lebenden „3,5 Millionen Blutsbrüder“, von denen viele das Wahlrecht in der Heimat der Kanzlerin haben.
Die Bundesregierung ließ nach dieser Äußerung den türkischen Botschafter in Berlin einbestellen, doch eigentlich sollte sie Bagis dankbar sein. Das Verhalten führender Politiker des Beitrittskandidaten Türkei vermittelt nämlich eine Ahnung davon, wie Ankaras Personal erst aufträte, wäre die Türkei vetoberechtigtes Vollmitglied der EU. Das Konzept des Souveränitätsverzichts, den eine EU-Mitgliedschaft mit sich bringt, ist der Ankaraner Führungsriege fremd. Deshalb schreibt sich die Türkei ihre Fortschrittsberichte seit einiger auch lieber selbst, statt sich mit den Elaboraten Brüsseler Bürokraten herumzuärgern. Bagis begründet das so: „Die unentwegten Reformen der Türkei im Laufe des vergangenen Jahrzehnts haben unserer Nation in den EU-Beitrittsverhandlungen eine psychologische Überlegenheit verliehen. Aufgrund dieser psychologischen Überlegenheit sind wir am Verhandlungstisch jetzt stärker.“ Folglich könne die Türkei den Europäern Noten geben, nicht umgekehrt: „Der kranke Mann von gestern steht jetzt aufrecht und wird die heutige Medizin für Europa verschreiben, um Lösungen für die Krankheit Europas zu finden.“
Immerhin hat Erdogan mit seinem Europaminister eine gute Verhandlungsoption für den Fall, dass es der Türkei eines Tages doch wieder Ernst sein sollte mit dem EU-Beitritt. Der türkische Ministerpräsident könnte Ankaras Interesse bekräftigen, indem er Bagis die Gelegenheit gibt, seinen schweren Überlegenheitskomplex fern von der Bürde des Amtes auszukurieren. Dann müsste freilich auch die EU Farbe bekennen.
 http://www.faz.net
23/6/13
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